In den letzten Jahren haben sich KI-gestützte Coding-Tools rasant weiterentwickelt. Viele Entwickler nutzen bereits Large Language Models (LLMs), um Code-Snippets zu generieren, meist durch Copy-Paste in ein Browser-Fenster oder eine Chat-Oberfläche. Doch es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen diesem klassischen Prompting und dem sogenannten Agentic Coding. In diesem Artikel erklären wir, was Agentic Coding ist und wo die Vorteile liegen.
Was ist Agentic Coding?
Agentic Coding bezeichnet den Einsatz von KI-Agents, die nicht nur passiv auf einzelne Prompts reagieren, sondern aktiv und autonom an Software-Projekten arbeiten können. Im Gegensatz zum klassischen Prompting, bei dem ein Entwickler einzelne Code-Snippets anfragt und diese manuell in sein Projekt integriert, hat ein Agent:
- Zugriff auf das gesamte Projekt (Dateien, Struktur, Dependencies)
- Die Fähigkeit, Code auszuführen und zu testen
- Werkzeuge, um Dateien zu lesen, zu schreiben und zu organisieren
- Autonomie, um iterativ an einem Problem zu arbeiten, bis es gelöst ist
Systeme wie Claude Code, Cursor, Devin oder GitHub Copilot Workspace implementieren diesen Ansatz in unterschiedlichem Umfang.
Klassisches Prompting vs. Agentic Coding
Klassisches Prompting:
Ein typischer Workflow sieht etwa so aus:
- Entwickler kopiert ein Code-Snippet in einen Chat
- Beschreibt das Problem oder die gewünschte Änderung
- LLM generiert einen Lösungsvorschlag
- Entwickler kopiert den Code zurück in sein Projekt
- Manuelle Integration, Testing und Debugging
Problem: Das LLM sieht nur den kopierten Ausschnitt, nicht die Projektstruktur, Dependencies oder verwandte Dateien. Es kann nicht prüfen, ob der Code funktioniert, und hat keinen Kontext über die Architektur.
Agentic Coding:
Ein Agent-basierter Workflow läuft anders ab:
- Entwickler beschreibt das Problem oder Feature
- Agent analysiert das gesamte Projekt
- Agent entwickelt eine Lösung, verteilt Code auf mehrere Dateien
- Agent führt Tests aus, prüft Fehler und iteriert
- Entwickler reviewt die fertigen Änderungen
Vorteil: Der Agent hat vollständigen Kontext, kann selbstständig organisieren, testen und bei Fehlern nachbessern.
Die Vorteile von Agentic Coding im Detail
1. Vollständiger Projektkontext
Ein Agent kennt nicht nur ein isoliertes Snippet, sondern das gesamte Projekt:
- Alle Dateien und deren Struktur
- Abhängigkeiten zwischen Modulen
- Verwendete Libraries und Frameworks
- Bestehende Tests und deren Struktur
Beispiel: Wenn Sie eine neue API-Route hinzufügen möchten, weiß der Agent automatisch, wie Ihre bestehenden Routen strukturiert sind, welche Middleware Sie verwenden und wo Tests hingehören.
Bewertung: Sehr wichtig – Reduziert Integrationsfehler und sorgt für konsistente Code-Qualität.
2. Autonome Code-Organisation
Statt alles in eine Datei zu packen, kann ein Agent Code sinnvoll auf mehrere Files verteilen:
- Neue Klassen in separate Module auslagern
- Tests in das richtige Test-Verzeichnis schreiben
- Imports korrekt setzen
- Projektstruktur einhalten
Beispiel: Beim Hinzufügen einer neuen Funktion erstellt der Agent automatisch src/services/new_feature.py, tests/test_new_feature.py und aktualisiert src/__init__.py – ohne dass Sie jeden Schritt manuell steuern müssen.
Bewertung: Sehr nützlich – Spart Zeit und sorgt für saubere Projektstruktur.
3. Code-Ausführung und Testing
Ein entscheidender Vorteil: Der Agent kann Code tatsächlich ausführen:
- Tests laufen lassen und Ergebnisse prüfen
- Fehler erkennen und beheben
- Build-Prozesse anstoßen
- Linting und Formatierung durchführen
Beispiel: Der Agent schreibt eine Funktion, führt die Tests aus, erkennt einen Edge-Case-Fehler, korrigiert den Code und verifiziert, dass alle Tests grün sind – alles ohne Ihr Zutun.
Bewertung: Sehr wertvoll – Erhöht die Code-Qualität deutlich und reduziert Debugging-Aufwand.
4. Automatisches Test-Schreiben
Agents können nicht nur Produktionscode, sondern auch passende Tests schreiben:
- Unit-Tests für neue Funktionen
- Integration-Tests für APIs
- Edge-Case-Abdeckung
- Test-Fixtures und Mocks
Wichtig: Wie im Claude-Erfahrungsartikel beschrieben, sollten auch Agent-generierte Tests kritisch geprüft werden. Die Frage bleibt: “Testet dieser Test wirklich das Richtige?”
Bewertung: Nützlich, aber mit Vorsicht – Tests sind ein guter Startpunkt, erfordern aber Review.
5. Iterative Verbesserung
Der Agent arbeitet iterativ, bis das Problem gelöst ist:
- Code schreiben → Testen → Fehler beheben → Erneut testen
- Bei Fehlern alternative Ansätze probieren
- Schrittweise Optimierung
Beispiel: Ein API-Endpoint funktioniert zunächst nicht. Der Agent erkennt einen 500-Fehler, analysiert den Stack-Trace, korrigiert die Datenbank-Query und verifiziert, dass der Endpoint nun funktioniert.
Bewertung: Sehr wertvoll – Reduziert Trial-and-Error-Zyklen drastisch.
Weitere wichtige Aspekte
Über die ursprünglichen Punkte hinaus gibt es weitere Vorteile und Überlegungen:
6. Versionskontrolle und Git-Integration
Moderne Agents können:
- Commits mit sinnvollen Messages erstellen
- Branches anlegen und wechseln
- Pull Requests vorbereiten
- Git-Historie analysieren, um Konventionen zu verstehen
Bewertung: Praktisch – Spart Zeit bei administrativen Tasks.
7. Dokumentation automatisch erstellen
Agents können:
- Docstrings für Funktionen schreiben
- README-Dateien aktualisieren
- Code-Kommentare hinzufügen
- API-Dokumentation generieren
Bewertung: Nützlich – Dokumentation bleibt aktuell, wenn sie automatisch mitgeneriert wird.
8. Refactoring und Modernisierung
Agents eignen sich gut für:
- Code-Refactoring nach Best Practices
- Migration zwischen Framework-Versionen
- Dependency-Updates mit Code-Anpassungen
- Performance-Optimierungen
Bewertung: Sehr nützlich – Besonders für größere, zeitaufwändige Refactorings.
Grenzen und Herausforderungen
Trotz aller Vorteile sollten auch die Grenzen von Agentic Coding beachtet werden:
Architektur-Entscheidungen
Strategische Entscheidungen (Welche Datenbank? Welches Framework? Mikroservices vs. Monolith?) erfordern weiterhin menschliches Urteilsvermögen.
Komplexe Geschäftslogik
Bei domänenspezifischen Anforderungen, die tiefes Fachwissen erfordern, braucht es weiterhin Input von Experten.
Kostenaspekt
Agentic Coding verbraucht mehr Tokens als einfaches Prompting, da mehr Kontext verarbeitet wird. Bei großen Projekten können Kosten relevant werden.
Vertrauen und Kontrolle
Je autonomer der Agent arbeitet, desto wichtiger wird Code-Review. Blindes Vertrauen ist gefährlich – besonders bei sicherheitskritischen Komponenten.
Praktische Anwendungsfälle
Ideal für Agentic Coding:
- Feature-Entwicklung mit klaren Anforderungen
- Bug-Fixes mit reproduzierbaren Test-Cases
- Refactoring und Code-Cleanup
- Hinzufügen von Tests zu bestehendem Code
- Boilerplate-Code für neue Module
Weniger geeignet:
- Initiales Projekt-Setup und Architektur-Design
- Komplexe Algorithmen mit domänenspezifischem Wissen
- Security-kritische Komponenten ohne Review
Fazit
Agentic Coding stellt einen Paradigmenwechsel in der KI-gestützten Softwareentwicklung dar. Während klassisches Prompting einem Assistenten gleicht, den man um einzelne Hilfestellungen bittet, arbeitet ein Agent wie ein Junior-Entwickler, der das Projekt kennt, selbstständig Code schreibt, testet und iteriert.
Die Vorteile sind enorm:
- Vollständiger Projektkontext
- Autonome Organisation und Strukturierung
- Selbstständiges Testing und selbstständige Fehlerkorrektur
- Iterative Verbesserung bis zur Lösung
Gleichzeitig bleiben erfahrene Entwickler unverzichtbar:
- Für Architektur-Entscheidungen
- Für Code-Reviews und Qualitätssicherung
- Für domänenspezifisches Fachwissen
- Für Security-kritische Komponenten
Wer Agentic Coding erfolgreich einsetzen möchte, sollte:
- Klare Anforderungen formulieren
- Aktiv reviewen, nicht blind vertrauen
- Tests kritisch prüfen (siehe Claude-Erfahrungen)
- Den Agent als Werkzeug verstehen, nicht als Ersatz
Mit der richtigen Herangehensweise wird Agentic Coding zu einem mächtigen Produktivitäts-Booster – ohne die Notwendigkeit, menschliche Expertise zu ersetzen.
Haben Sie bereits Erfahrungen mit Agentic Coding gemacht? Oder Fragen zur Implementierung? Kontaktieren Sie uns – wir freuen uns auf den Austausch!